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Charaktererschaffung: Tipps für tiefe Charakterkonzepte
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Charaktererschaffung: Tipps für tiefe Charakterkonzepte

von RosaconspineMärz 12, 2018

Mit Bezug auf Vampire die Maskerade

Für mich gibt es nichts schlimmeres, als eindimensionale, langweilige Charaktere. Das mag beim Pen & Paper noch halbwegs gehen, da man hier meist nur von einem Plot zum anderen huscht, aber z.B. beim Vampire Live muss man sich auch mal längere Zeit mit sich selbst beschäftigen. Schon aufgrund des intensiveren Kontakts mit den Mitspielern, hilft es, wenn der Charakter etwas Tiefe mitbringt. Wer schon bei der Frage, wo er herkommt, ins Straucheln gerät, kann wahrscheinlich nicht viele tiefsinnige Gespräche führen. Zumindest nicht aus Sicht des Charakters.

Deshalb sollte man sich etwas eingehender mit der Ausarbeitung beschäftigen. Hierbei helfen bspw. die Fragen aus dem Grundregelwerk oder auch weiterführende Fragenkataloge, die manche Chroniken zur Verfügung stellen. Mir persönlich fällt es allerdings immer etwas schwer, diese Fragen aus dem Stehgreif zu beantworten, nur weil ich eine ungefähre Charakteridee im Kopf habe. Zudem möchte ich meinen Char auch darüber hinaus etwas kennenlernen…

Deshalb gehe ich meist einen anderen Weg. Für diejenigen, die es interessiert, hier mal eine kleine Zusammenfassung, wie ich meine Charaktere baue

 

Am Anfang ist die Charakteridee

Zuerst beginnt alles mit einer fixen Idee. Beispielsweise wollte ich gerne eine Mafia-Ventrue im Vampire Live spielen.

Eigentlich finde ich Ventrue recht langweilig. Nach einer recht gesellschaftlich orientierten Malkavianerin und einer Toreador wollte ich nicht schon wieder etwas mit „Stock im Arsch“ spielen. Brujah hatte ich aber auch schon hinter mir.

Ich wusste auch nicht so recht, wie ich einem Ventrue Tiefe geben sollte, ohne dass er vollkommen vom Clan verstoßen wäre (auf mich wirken Ventrue eher immer ‚zu glatt‘). Also musste ich etwas schaffen, dass irgendwie akzeptiert wird, aber trotzdem nicht so richtig passt …

Die Idee der Mafia-Ventrue war geboren. Eine Frau, aufgewachsen in einer Mafia Familie, vom Clan eher verächtlich betrachtet, da der wirtschaftliche Reichtum aus dem Untergrund stammt, und dennoch akzeptiert, weil sie wie ein Fähnchen im Wind (Verhalten Konformist) ist und jedem das gibt, was er gerade möchte/erwartet.

 

Vor der Charaktergeschichte/den Fragen kommt die Recherche

Doch noch bevor es Punkte auf dem Bogen gab, ging es an die Geschichte. Zunächst habe ich ein wenig über die sizilianische Mafia (Cosa Nostra) recherchiert. Ob Wikipedia oder Bücher zum Thema – erst einmal in Ruhe einlesen. Denn bei Vampire Charakteren setze ich immer im sterblichen Leben an, da letztlich das den Grundstein für alles legt. Und wer kann eine Geschichte über die Mafia schreiben oder ‚leben‘, wenn er nichts über die Mafia weiß?

Bei diesen Recherchen formen sich bei mir die Grundpfeiler. Zum Beispiel in welche Zeit der Charakter passt, in welcher Stadt er geboren ist, vielleicht wie der Charakter früher aussah oder was für Frauen (bzw. Männer) in diesem Zeitraum wichtig war.

Zudem wollte ich dem Charakter einen ansehnlichen sterblichen Hintergrund geben (schließlich wurde sie wegen irgendetwas von ihrem Erzeuger ausgewählt), es musste also eine Mafia-Größe her. Nach den grundsätzlichen Recherchen zum Thema ging es also an die Suche nach möglichst wichtigen Personen. Damit meine Mitspieler auch etwas zum Nachforschen haben, wählte ich existierende Persönlichkeiten, die über Google zu finden sind. Anhand deren Geburts- und Todesdaten war dann letztlich klar, in welcher Zeit mein Charakter gelebt haben müsste.

Weiter ging es mit der Überlegung, wie sie Maskerade tauglich als Vampir weitergelebt hat, wenn sie aus einer so prominenten Umgebung stammt? Und wie das vampirische Dasein ist, wenn man quasi eine Prinzessin war und dann in der Nahrungskette als frisch gewandelter Vampir ganz unten steht?

So führt ein Gedanke zum Nächsten. Hierbei empfehle ich, dass ihr euch schon einmal Stichwörter macht oder Passagen aus den Recherchen herauskopiert, damit ihr die Geistesblitze nicht vergesst.

 

Weiterführende Überlegungen und Charaktereigenschaften

Im Falle meiner Mafia-Ventrue nahm ich mir anschließend das Clansbuch zur Hand. Grundsätzlich mache ich das gerne vor neuen Vampire Live Charakteren, da einem immer wieder etwas Neues in Bezug auf den bevorstehenden Charakter auffällt. Selbst, wenn man das Buch schon kennt.

Insbesondere der Part hinsichtlich der Ventrue-Prüfung und der Verurteilung von Charakteren mit kriminellem Hintergrund war für mich relevant und hat dazu beigetragen, meine Idee weiter zu formen.

Ich brauchte also jemanden, der sich so gut eingefunden hat und etwas so Bemerkenswertes erreichte, dass er trotz abfälliger Meinung über das Metier irgendwie akzeptiert wurde.

Manipulativ musste der Charakter also sein, aber auch charismatisch, damit man ihm zugetan ist. Etikette bedurfte es ebenfalls etwas, aber eher als Mittel zum Zweck. Eine gute „Schauspielerin“ also, die sich in ihre zugedachten Rollen einfügt, während sie ihre Pläne verfolgt…

Und zack. Ich konnte anfangen zu schreiben.

 

Das Wichtigste: Nachteile & Schwächen

Nun ist es gut und schön zu wissen, wie der Charakter ungefähr drauf ist und was er gut kann, aber damit der Charakter wirklich rund wird, braucht er Ecken und Kanten. Ein Charakter der nur Stärken und tolle Fähigkeiten aufweist, bietet wenig Angriffs- und somit Spielpotenzial. Zudem ist einfach NIEMAND perfekt. Niemand. Nicht einmal der perfekteste Mensch, den ihr euch vorstellen könnt. Warum sollte es ein Charakter sein?

Schon in der Charaktergeschichte können sich einige Schwächen herauskristallisieren, die man ins Spiel einfließen lassen oder aus denen man Nachteile wählen kann. Bei meiner Charaktergeschichte entstanden bspw. die Nachteile Clansfeindschaft Giovanni, Gejagt (ein guter Grund, weswegen sie aus Italien wegmusste) und ein mit unserer Spielleitung selbst konzipierter kleiner Nachteil.

So habe ich einfach den Vorteil ‚Ehrenkodex‘ umgemünzt und einen Nachteil daraus gemacht, dass ich meinen Clan oder auch die vampirische Gesellschaft jederzeit zum Wohle der Mafia verrate. Denn eben jene ist für den Charakter das Wichtigste, während die Camarilla für sie nur ein unehrenhafter Haufen ist, der nichts für sie tut und dem sie nichts wert ist.

 

Die Details kommen bei der Auspunktung

Ich kenne viele Spieler, die zuerst ihre Punkt verteilen und sich dann Gedanken über den Charakter an sich machen (falls diese Spieler sich Gedanken machen). Im Pen & Paper ist das natürlich meistens so, aber gerade im Live – bei einem Charakter, den ich mehrere Jahre intensiv spielen werde – habe ich für mich einen besseren Weg gefunden. So ergeben sich meine Punkte eigentlich immer aus den Merkmalen und der entstandenen Geschichte.

Für einen tiefen Charakter sollte man hierbei dann noch weitere Schwächen einbauen. Denn ein möglichst optimierter Char ist meiner Meinung nach recht fad und wieder ohne Ecken und Kanten.

Natürlich soll der Charakter einiges gut können, aber er sollte auch ganz bewusst einige Sachen nicht können. Ein Charakter, der z.B. sehr gesellschaftlich ausgeprägt ist, sollte entsprechend Defizite im Kampf haben oder andersherum. Ein Charakter, der richtig gut austeilen kann, muss nicht gleichzeitig viel einstecken können o.ä. (siehe oben: Niemand ist perfekt. Und niemand kann alles. Ansonsten spiel Kain, vernichte die ganze Welt, und erfreue dich an nicht vorhandenem Spiel mit anderen.)

Zudem kann man zumindest beim Vampire Live noch weitere Angriffspunkte über Ängste und Beasttraits (Raserei-Trigger) einbauen. Zwar sollten diese nicht so banal sein, dass sie jeden Abend ständig automatisch angespielt werden, aber ich überlege immer, OB es etwas ist, was ausversehen angespielt werden KÖNNTE. Hierbei nehme ich erneut die Charaktergeschichte zur Hand, um Ansätze für mögliche Ängste/Aggressionen zu finden.

 

Das Spiel gibt dem Charakter den letzten Schliff

Nachdem ich all das gemacht habe und der Charakter endlich steht – ich mir noch überlegt habe, wie er aussieht, spricht und welche Gestik vielleicht passt – muss das Konzept natürlich durch den Praxistest. Kaum ein Char bleibt so, wie er auf dem Papier entstanden ist. Denn trotz der ganzen Recherchen und Überlegungen gibt es immer Dinge, die man nicht bedenkt oder das Spiel entwickelt sich einfach in eine ganz andere Richtung.

Zum einen ist das ganz natürlich, denn der Char wird vielleicht auch mit neuen Situationen konfrontiert, zum anderen sollte man Konzepte manchmal etwas anpassen, damit der Spielspaß für einen selbst und andere nicht flöten geht.

So ist meine eigentlich konformistisch konzipierte Ventrue zwischendurch zum Etikette-Biest mutiert, weil viele andere Charaktere einfach noch weniger Wert darauflegen (und ganz ohne ist ja auch langweilig ).

 

Zur Frage: Lohnt sich der Aufwand überhaupt?

Immer wieder habe ich gehört, dass ich zu viel Aufwand betreiben würde (ich mache das auch in kleinem Rahmen bei NSC oder OneShots), aber für mich persönlich lohnt es sich.

Ich bin zwar immer ein wenig enttäuscht, wenn ich einen Charakter so detailliert ausarbeite und meine Mitspieler die Sachen nicht herausfinden, aber grundsätzlich mache ich das ja für mich. Natürlich muss das niemand in diesem Umfang betreiben, aber ich würde jedem raten, sich zunächst in Charaktere (und nicht Werte) hinein zu fühlen und zu denken, bevor man ihn spielt. Je intensiver und länger das geplante Spiel, desto intensiver würde ich auch die Recherche und Ausarbeitung empfehlen, damit man sich nicht langweilt.

Ich für meinen Teil hatte wirklich super wenige Situationen, in denen ich nichts mit mir oder anderen anzufangen wusste. Obwohl es nicht immer Gesprächsstoff gibt, lassen sich doch zumindest kleine Möglichkeiten finden, sich selbst und anderen Spiel zu bereiten, wenn das Konzept genug Tiefe hat und es hergibt.

Bspw. deprimiert zu sein, weil der Todestag eines geliebten Angehörigen aus der Vergangenheit ansteht oder mies gelaunt über das deutsche Wetter klagen, weil man die italienische Heimat so sehr vermisst (in die man aber nicht zurückkann).

Je mehr man über den Char weiß, den man spielt, desto mehr kann man ihm Leben einhauchen und situativ Spiel generieren, statt gelangweilt in einer Ecke zu sitzen und auf den Plot zu warten. Deshalb kann ich jedem, dem zu oft im Spiel fad ist, nur raten: Beschäftigt euch intensiver mit eurem Char (Natürlich kann das auch an anderen Dingen liegen, aber dazu gibt’s bald einen extra Artikel)


Da das jetzt super viel Text war und dieser sich sehr aufs Vampire sowie meine persönliche Vorgehensweise bezogen hat, gibt es demnächst noch eine übersichtliche Checkliste mit allgemein formulieren Tipps!


Ihr habt weitere Tipps oder geht ganz anders vor? Dann würde ich mich sehr über Eure Meinung/Erfahrung/Ergänzungen in den Kommentaren freuen!

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Über den Autor
Rosaconspine
Hi, ich bin die Rosaconspine aka Jessi. Ich bin 28 Jahre alt und leidenschaftliche Zockerin sowie großer TSM Fan :D (wird man bestimmt in einigen Artikeln merken). Mehr über mich erfahrt ihr auf der "Über uns" Seite.

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